Tagebuch – Zum ersten Mal Uchi Deshi – Trainieren in Japan

Zum Schluss war es dann doch aufregend: es geht los! Während Volker schon ein alter Iwama-Hase ist, ist es für mich (Sonja) das erste Mal überhaupt in Japan und so auch in Iwama! In den folgenden Beiträgen bekommt ihr von mir einen kleinen Einblick wie es ist, in Japan traditionelles Iwama Aikido zu trainieren.

23 Stunden später beziehen wir unser Quartier im Shin-Dojo. Mit dem Fahrrad fahren wir zum ersten Training bei Saito-Sensei im nahe gelegenen Tanrenkan. Bei unserem ersten Abendtraining waren wir nur wenige Schüler. Dies hatte zur Folge, dass Sensei sich (fast) ganz auf mich konzentrieren konnte. Das war natürlich aufregend und Volker meinte später: „Das war ja toll, du hast eine Privatstunde bei Sensei bekommen.“
Es ist nicht so einfach beim Training so lange alleine im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen und auch noch von Sensei direkt korrigiert zu werden! Sensei hat aber viel erklärt und war sehr geduldig mit mir (dies ist wohl nicht immer der Fall). So viele Korrekturen zu bekommen ist nicht ganz leicht, es entsteht aber ein Schatz an Aspekten, an denen ich nun weiter arbeiten kann. Auch Volker weiß nun, wo es bei mir – und anderen – noch Arbeit gibt.

Tim Haffner, ein Freund des Korntaler Dojos, kam heute von Tokyo zum Training nach Iwama




24.4.2024
Von Routine kann keine Rede sein, aber langsam wird klarer, was und wie und in welcher Reihenfolge Dinge zu tun sind, dies gilt sowohl für die Putzarbeiten, die wir erledigen, als auch für die Rituale vor, in und nach dem Training.

Nach einem trainingsfreien Tag am Montag (an dem gleichwohl der Tanrenkan mit großer Sorgfalt gereinigt wird), kommen hier immer mehr Schüler an. Inzwischen sind wir zu fünft, wir aus Deutschland und Schüler aus Frankreich und Australien. Von den „Schülern“ sind viele selbst schon lange Jahren Akidolehrer. Aber auch sie wollen weiter lernen und sich verbessern.

Gestern galt es für mich, die Toban-Aufgaben zu erledigen. Das bedeutet, dass man aus der Kasse, in die alle Schüler ein wenig Geld einzahlen, eine festgelegte Summe an Geld erhält, um einzukaufen für das Mittag- und Abendessen, welches der Toban auch zubereitet.



Toban-Tätigkeiten muss jede(r) einmal übernehmen



Auf den ersten Blick die richtige Milch zu finden, ist nicht einfach (ein Übersetzungsprogramm hilft…)

Im Training heute hat Saito-Sensei einen Schwerpunkt auf die Grundlagen (z. B. Hanmi, Abstand der Füße zueinander, Haltung des Körpers) gelegt und uns sehr ausführlich die Wichtigkeit vieler Details erläutert. Er hat sich dafür sehr viel Zeit genommen und uns für einige Aspekte (korrekte Ausrichtung der Hüfte beim Hanmi) auf Bilder von O-Sensei verwiesen, die im Tanrenkan hängen. Dies nochmals in dieser Tiefe vermittelt zu bekommen, war für uns alle eine bereichernde Erfahrung. Jetzt müssen wir daran arbeiten, dies umzusetzen.



Bilder von O-Sensei im Tanrenkan




25.04.2024
Gestern Abend gab es das erste spürbare Erdbeben seit unserer Ankunft, solche Beben sind durchaus üblich in Japan. Es dauerte zwei bis drei Minuten und hatte die Stärke 3,7. Die anderen Uchideshi – das ist die Bezeichnung für uns Hausschüler – haben sich jedenfalls davon nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Bevor wir dann am nächsten Morgen zum Tanrenkan starten, übernimmt hier im Shin-Dojo jede(r) bis etwa 5:30 einige Alltagsarbeiten. Wer draußen das Kehren übernimmt, kann die wunderschöne Stimmung des Sonnenaufgangs miterleben, alles hat dann einen leichten Rotstich.

Danach trifft man sich noch kurz in der Küche auf einen schnellen Kaffee oder Tee und schon sitzen wir auf den Fahrrädern und machen uns auf den Weg zum Tanrenkan.

Heute hat Waka-Sensei (der „junge Sensei“, der Sohn von Hitohira Saito Sensei, Yasuhiro Saito Sensei) zum ersten Mal für uns das Training gegeben und hat auch selbst mittrainiert. Thema war die vierte Kumitachi (eine Schwertform im Aikido). Mit seiner Schnelligkeit und Präzision fordert Waka-Sensei auch die Erfahrenen unter uns. Nach dem Training kann man das Gelernte vertiefen.

Nachmittags machen wir meist etwas freies Training im Shin-Dojo, d.h. jede(r) übt entweder für die Enbukai (eine Aikido-Vorführung, die bald ansteht) oder arbeitet an den Korrekturen.



Volker Hochwald und Michael Costello



Stimmung beim Sonnenaufgang





26.4.2024
Wir sind nun zu siebt, ein Schüler aus Algerien ist nun da!

Wenn wir morgens am Tanrenkan ankommen, erwarten uns schon die Frösche mit ihrem Quaken. Da wir alle noch etwas müde sind, wird bei den Vorbereitungen für das Training nicht viel gesprochen und wir genießen das friedliche Geräusch.

Kurz vor dem Training, wärmen wir uns auf: Die Muskeln (zumindest meine) schmerzen etwas und es sind auch ein paar blaue Flecken hinzugekommen. Das Training fordert unseren Geist und unseren Körper.

Obwohl es erst April ist, ist es schon sehr warm. Wir schwitzen beim Abendtraining, welches wieder sehr intensiv ist. Hisako-San, die Frau von Hitohira Saito Sensei, die selbst auch fortgeschrittene Danträgerin ist, unterstützt mich sowohl beim Training, als auch danach sehr und erklärt mir Technikaspekte, die ich noch nicht verstanden habe oder noch verbessern kann. Auch Yasuhiro Saito Sensei bietet sich fast nach jedem Training für uns alle für Rückfragen und als Trainingspartner an und erklärt nochmals viele Details, die bei dem einen oder anderen ein Aha-Erlebnis auslösen.

Abends, nach dem zweiten Training des Tages im Tanrenkan, bekommen die Frösche seit heute Abend Unterstützung von den Grillen, auch dieses Gemeinschaftskonzert können wir kurz vor der Heimfahrt auf unseren Fahrrädern sehr genießen.



27.4.2024
Gestern haben wir die fünfte Kumitachi (schwerttechniken) mit 2 Henka (also Varianten) durchgenommen. Diese ist die längste Kumitachi und auch hier gibt es folglich wieder viele Herausforderungen und Korrekturen. Hieran möchte ich in jedem Fall weiterarbeiten, wenn ich wieder zu Hause bin.

Hier noch ein paar Einblicke in den Alltag:

1. zu jeder Mahlzeit gibt es einen kurzen Dankesgruß.
2. Wo viele Uchideshi, da viel Wäsche
3. Viele Gärten sind hier sehr gepflegt




28.04.2024
Am Sonntag gibt es immer 2 Stunden Training, sowohl Waffentraining (diese Woche mit Jo, also mit dem Stock) als auch Taijutsu (also Training ohne Waffen). Wer denkt, einen Waldboden kann man nicht fegen, der irrt! Die relativ große, ebene Fläche im Wald wird vor dem Training vorbereitet und etwas gefegt und von dickeren Steinen und Laub befreit, so dass ein gutes Waafentraining stattfinden kann.

Die Woche steckt mir noch in den Knochen, so dass mir das Training nicht leicht fällt, aber: Ganbatte! Ich gebe mein Bestes!

Am Nachmittag mache ich mit einem weiteren Uchideshi einen Ausflug zu den Aiki-Falls, einem kleinen angelegten Wasserfall, in dessen unmittelbarer Nähe sich auch das Haus von Morihiro Saito Sensei, also dem Vater von Hitohira Saito Sensei, befindet.


Aikifalls mit Schrein
2. Bild: Ein Bambuswald

Inzwischen sind wir neun Uchideshi, abends besucht uns Sensei und überrascht uns mit Sushi und einer selbstgemachen scharfen Sauce. Auch bringt er eine große Flasche Sake mit.

Beim Essen erzählt Sensei von O-Sensei und seinem Vater, Morihiro Saito Sensei. Auch über O-Senseis Entwicklung des Aikido, der dabei wichtige, zentrale Aspekt der Spiritualität verdeutlicht er uns nochmal. Man merkt schnell: Alles, was er sagt, sagt er aus tiefer Überzeugung.




29.04.2024
Heute ist Tai-sai und auch ein Feiertag. Da heute Montag ist, findet zudem kein Training statt. Wie letzten Montag auch, fahren wir aber morgens zum Tanrenkan und reinigen dort alles.

In Iwama wird an Tai-sai O-Senseis Todestag (Morihei Ueshiba) gedacht und es findet im gegenüberliegenden Aiki-Schrein eine Shinto-Zeremonie statt, zu der viele Leute kommen.

Wir Uchideshi unterstützten im Shin-Dojo spontan bei einigen Kleinigkeiten, da heute zur Feier des Tages auch einige Freunde und Bekannte von Sensei zu Besuch kommen werden. Schließlich war sein Vater zu seinen Lebzeiten der Bewahrer des Aiki-Schreins.

Auch hat Sensei einige Bokken (Holzschwerter) mitgebracht, die wir Uchideshi für Sensei an einem kleinen Stand vor der Tür verkaufen. Wir können über die Hälfte dieser schönen Schwerter an den Mann (und eine Frau :D) bringen.

Danach sind wir von Sensei wieder zu einem großen Mahl an Köstlichkeiten eingeladen. Während wir noch schlemmen, macht uns Sensei ein sehr großzügiges Geschenk: Er schenkt jedem Uchideshi von den verbleiben Schwertern eines! Wir können es erst gar nicht glauben und freuen uns alle sehr darüber: Sensei, doumo arigatou gozaimasu! Danke, Sensei!


Jedes Schwert erhält noch das Stempelzeichen des Iwama Shinshin Aiki Shurenkai, unseres Verbands.

Übrigens: unsere Gruppe wächst weiter, inzwischen sind wir 14 Uchideshi aus 5 Ländern….